Wenn Kinder zu viel fühlen – und Erwachsene zu wenig Raum geben
„Manche Kinder weinen nicht, weil sie schwach sind – sondern weil sie die Welt in all ihren Schichten wahrnehmen.“
Zwischen Feinfühligkeit und Überforderung
Hochsensible und besonders begabte Kinder haben eine außergewöhnliche Wahrnehmungsfähigkeit.
Sie spüren kleinste Stimmungen, hören Zwischentöne in Gesprächen, registrieren Veränderungen in der Mimik oder im Tonfall, bevor andere sie überhaupt bemerken.
Ihr Nervensystem reagiert intensiver – sie fühlen stärker, denken tiefer, nehmen mehr auf einmal wahr.
Das kann wunderschön sein: Diese Kinder sind oft empathisch, kreativ, aufmerksam und liebevoll.
Aber es kann auch überfordernd sein – vor allem dann, wenn Erwachsene ihre Tiefe mit Schwäche verwechseln.
„Du musst da Darüberstehen“ –
Warum gut gemeint oft verletzend ist
Viele Eltern und Pädagogen sagen Sätze wie:
„Das darf dich doch nicht so aufregen.“
„Reiß dich zusammen.“
„Das ist doch nicht so schlimm.“
Sie meinen es nicht böse – sie wollen trösten oder stärken.
Doch für sensible Kinder fühlt sich das an, als würde jemand ihr Innerstes kleinreden.
Ein Junge (8) sagte in einer Beratung einmal:
„Wenn ich traurig bin und Papa sagt, das ist doch nichts, dann fühle ich mich, als wäre ich nichts.“
Was dieses Kind gebraucht hätte, war kein Trost durch Relativierung, sondern Raum:
ein stilles, verständnisvolles „Ich sehe dich. Das fühlt sich gerade richtig blöd an.“
Emotionen brauchen Begleitung, keine Bewertung
Sensible Kinder lernen nicht, mit Gefühlen umzugehen, indem man sie abschneidet –
sondern indem man sie aushält.
Das heißt nicht, dass man jedes Drama auslebt oder jede Träne feiert.
Aber: Man begegnet Emotionen mit Neugier statt mit Eile.
· Statt „Jetzt beruhig dich endlich!“ lieber: „Das war zu viel für dich, oder? Was würde dir gerade gut tun?“
· Statt „Dafür brauchst du doch nicht zu weinen!“ lieber: „Ich merke, das berührt dich sehr. Magst du erzählen, was in dir passiert?“
So lernt das Kind: Gefühle sind nicht gefährlich – sie sind Signale.
Warum Hochbegabung und hohe Sensibilität oft zusammen auftreten
Bei vielen begabten Kindern ist das Denken mit dem Fühlen verknüpft.
Sie reflektieren ihre Emotionen, analysieren sie – und steigern sich dadurch manchmal noch tiefer hinein.
Ein Gedanke („Warum hat mich meine Lehrerin heute komisch angesehen?“) kann sich spiralförmig zu einem emotionalen Sturm entwickeln.
Diese Kinder brauchen keine „Abhärtung“, sondern Co-Regulation:
Erwachsene, die ruhig bleiben, während im Kind alles tobt.
Das Nervensystem lernt so: Ich darf fühlen – und bin trotzdem sicher.
Beispiele aus der Praxis
Die Tränen bei der Matheaufgabe
Lina (9) begann zu weinen, weil sie einen Rechenweg nicht verstand.
Die Lehrkraft wollte helfen und sagte:
„Das kannst du doch sonst auch – warum jetzt nicht?“ Lina fühlte sich bloßgestellt.
Als die Lehrerin später lernte, einfach kurz ruhig zu bleiben und zu sagen: „Atme einmal. Ich bin hier, wir machen das gemeinsam.“
– dauerte es keine 30 Sekunden, bis Lina wieder gefasst war.
Fazit: Nicht das Problem war zu groß, sondern die Angst, allein damit zu sein.
Der Wutanfall am Abendbrottisch
Ein Vater erzählte „Mein Sohn (7) rastet manchmal aus, wenn wir beim Essen über etwas streiten. Ich dachte, er übertreibt.“ Als sie das Thema gemeinsam erforschten, stellte sich heraus:
Der Junge reagierte nicht auf den Streit – sondern auf die Spannung zwischen den Eltern. Er sagte: „Wenn ihr euch laut anhört, habe ich Angst, dass ihr euch nicht mehr mögt.“ Das Gespräch führte dazu, dass die Eltern erklärten: „Wir streiten manchmal laut – aber wir bleiben verbunden.“
Nach dieser Klarheit verschwanden viele seiner Ausbrüche.
Wie Erwachsene Raum geben können
Annehmen, statt analysieren.
„Ich sehe, dass dich das bewegt.“ – mehr braucht es oft nicht.
Nicht sofort beruhigen wollen.
Kinder dürfen Gefühle durchleben. Sie regulieren sich besser, wenn sie dabei begleitet werden.
Körperkontakt nutzen.
Eine Hand auf der Schulter, eine ruhige Stimme, ein stilles Dableiben wirken stärker als jede Erklärung.
Eigenes Nervensystem regulieren.
Wer selbst ruhig bleibt, schenkt dem Kind den emotionalen Halt, den Worte nicht leisten können.
Gefühle benennen.
„Das war laut, das war zu viel, das war ungerecht“ – Kinder fühlen sich gesehen, wenn ihre Wahrnehmung Worte bekommt.
Einladung zum Perspektivwechsel
Sensible Kinder sind keine „zu dünnhäutigen“.
Sie sind Spiegel dafür, wie fein das Leben wahrgenommen werden kann, wenn man nicht abgestumpft ist.
Wenn wir lernen, ihre Emotionen nicht zu zähmen, sondern zu begleiten, dann erleben wir etwas Kostbares:
Sie zeigen uns, wie Lebendigkeit aussieht.
Austausch im BegabungsDorf
Wann hast du zuletzt erlebt, dass dein Kind „zu viel“ gefühlt hat – und was hat ihm wirklich geholfen?
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Manchmal finden wir in den Geschichten anderer Eltern genau das, was unsere Kinder am meisten brauchen: Verständnis und Resonanz.
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